Labyrinth von Lawrence Sterne

coop3 Beratungskooperative
"Die Gerade ist das gefährlichste aller Labyrinthe..."
Könnte ein Geschichtsschreiber seine Geschichte so vor sich hertreiben
wie ein Maultiertreiber den Maulesel - geradeaus, sagen wir: von Rom nach Loreto,
ohne sich nach rechts oder links umzusehen-, so dürfte er es wagen, Ihnen auf die Stunde
vorauszusagen, wann er das Ende seiner Reise erreicht haben werde;
doch in der Welt des Geistes ist das unmöglich, denn wenn unser Geschichtsschreiber
ein Mann von auch nur ein wenig Geist ist, wird er fünfzig auf keine Weise vermeidliche
Abweichungen von der geraden Linie mit der oder jener Gesellschaft,
die er am Wege trifft, machen. Sein Auge wird ohne Unterlass von Aussichten und
Ansichten in Anspruch genommen sein, und er wird ebenso wenig umhin können,
vor ihnen halt zu machen, wie er es zustande zu bringen vermöchte zu fliegen.
Er wird zudem verschiedene Nachrichten zu vergleichen, Anekdoten zu sammeln,
Inschriften zu entziffern, Geschichten einzuweben, Überlieferungen zu sichten,
Großen Herren aufzuwarten, Lobreden auf diese Tür, Schmähverse auf jene
aufzukleben haben, von welchen Aufgaben sowohl der Maultiertreiber
als auch der Maulesel selber befreit sind.
Alles in allem: Vor jedem Abschnitt gibt's Archive zu durchstöbern und
Schriftrollen, Urkunden, Dokumente und endlose Geschlechtsregister zu lesen,
vor welchen halt zu machen und auf welche einzugehen die Gerechtigkeit und
Billigkeit ihn stets von neuem auffordern. Kurzum, das Ende ist an keiner Stelle abzusehen.

Lawrence Sterne: Tristram Shandy (1760)
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